Quelle für die Familienforschung und faszinierendes Reiseziel
Friedhöfe sind ein Spiegel der Kultur. Der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Toten gibt einen tiefen Einblick in die Welt der Lebenden, ihrer Geschichte, ihres Glaubens, ihrer Wertvorstellungen. Grabmale konservieren den Zeitpunkt des Todes und das manchmal über Jahrhunderte hinweg. Denn anders als bei den Städten der Lebenden käme niemand auf die Idee, bestehende Gräber einer grundlegenden Modernisierung zu unterziehen. Und so erleben wir die Pyramiden in Ägypten, das Taj Mahal in Indien oder die Grabsteine auf dem Friedhof in unserer Stadt fast so wie zum Zeitpunkt der Beisetzung, sei die 4000, 400 oder 40 Jahre her. Also eigentlich kein Wunder, dass sich sowohl Familienforscher als auch kulturell interessierte Reisende von Friedhöfen angezogen fühlen. Auf mich trifft beides zu und so soll im Mittelpunkt dieses Beitrags der Friedhof als Quelle der Familienforschung und als Reiseziel stehen.
Natürlich sind Friedhöfe in allererster Linie eine Stätte für Angehörige und Freunde der Verstorbenen, ein Ort des Gedenkens, der Trauer und der Erinnerung. Diesen ganz persönlichen Aspekt lasse ich außen vor.
Ich bin im Norden Hamburgs aufgewachsen, in der Nähe des Friedhofs Ohlsdorf. Der ist mit 400 Hektar der größte Parkfriedhof der Welt, fast ein eigener Stadtteil für sich, durch den Autos und Busse fahren, zum Verirren groß. An jeder Ecke gibt es eine kleine verwunschene Welt zu entdecken, mal ein versteckter See, mal eine Kapelle und so viel Grün. Gräberfelder, die Krieg, Zerstörung und Verfolgung widerspiegeln, Grabmale berühmter und berüchtigter Menschen, Geschichte und Geschichten auf Schritt und Tritt. Hier kann man so viel entdecken, dass es sogar für einen eigenen Podcast reicht. Das Interesse für Friedhöfe ist mir also fast schon in die Wiege gelegt.
Aber erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Deswegen zunächst ein paar Tipps für die Familienforschung auf Friedhöfen. Und später dann meine ganz persönliche Top 10 der Begräbnisstätten, die ich auf der ganzen Welt besucht habe.
Friedhöfe und Ahnenforschung
Lohnt es sich überhaupt, auf einem Friedhof nach lange verstorbenen Vorfahren zu suchen?
Die durchschnittliche Liegezeit auf einem Friedhof beträgt heute 20 bis 30 Jahre. Macht es da überhaupt Sinn, nach verstorbenen Vorfahren zu suchen, die vor hundert oder mehr Jahren geboren wurden? Klare Antwort: ja!
Aus unterschiedlichen Gründen kann man auf deutlich ältere Gräber stoßen. So können die Nutzungsberechtigten die Liegezeit weit über die 30 Jahre verlängert haben. In Familiengräbern können mehrere Generationen beerdigt sein und so Personen zu finden sein, die schon lange tot sind. Und zuletzt kann die Gemeinde ein Grab als erhaltenswert einstufen und es bestehen lassen. Dieses Glück hatte ich beim Grab meiner Ururgroßeltern. Obwohl mein Ururugroßvater Moritz Noack, Lehrer in Kleinpörthen, 1919 verstorben ist, existiert sein Grab noch heute.
Wie finde ich den richtigen Friedhof und das Grab?
Weiß man, in welchem Ort eine Person verstorben ist, kennt man noch lange nicht den Friedhof, auf dem sie beerdigt wurde. Selbst in kleinen Städten gibt es in der Regel mehrere Friedhöfe. Einfach mal auf dem um die Ecke der letzten Wohnadresse gelegenenen Friedhof nachschauen, wird meist nur in sehr kleinen Orten erfolgreich sein. Eine Anfrage bei der Friedhofsverwaltung des Sterbeorts per E-Mail ist der einfachste und bequemste Weg, die Suche zu beginnen. In den meisten Fällen findet man eine zentrale Anlaufstelle mit einer Mailadresse (z.B. in Hamburg), so dass man nicht jeden Friedhof in der Stadt einzeln anschreiben muss. In einigen Städten kann man komfortabel online über eine Suchmaske recherchieren (z.B. in Karlsruhe). Meist findet man im Internetauftritt eines Ortes eine zuständige Stelle, wenn das ausnahmsweise nicht der Fall sein sollte, einfach die allgemeine Mailadresse der Stadt verwenden.
Die Friedhofsverwaltungen verfügen über deutlich mehr Daten als nur das Sterbedatum und die Lage der Grabstätte. Es lohnt sich, danach zu fragen, ob noch weitere Informationen zum Grab und dem Verstorbenen vorliegen. Für Gräber gibt es zum Beispiel meistens einen lebenden Nutzungsberechtigten, häufig ein Verwandter. Und der kann für Familienforscher durchaus interessant sein. Es ist auch eine Frage der Freundlichkeit, wie hilfreich die Friedhofsverwaltung ist. Denn man muss sich darüber klar sein, dass sie andere Aufgaben hat und es keinen Anspruch auf Auskunft gibt.
Ab und an wird empfohlen, auch bei den Bestattungsunternehmen der Umgebung nachzufragen, um Informationen über den Verstorbenen und seine Angehörigen zu bekommen. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass diese Betriebe, die von Diskretion und Seriosität leben, hier besonders auskunftsfreudig sind, aber ich wollte es nicht unerwähnt lassen.
Auf dem Weg schon mal umschauen
Hat man dann die genaue Lage des Grabes erfahren, sollte man sich auf dem Weg dorthin auch die anderen Grabsteine etwas genauer anschauen. Schnell bekommt man einen Eindruck, welche Namen in dem Ort häufig vertreten sind und wo die Einwohner so herkamen. Vielleicht findet sich ein bisher noch nicht bekannter Verwandter? Oder ein Nachbar aus dem gleichen Geburtsort? Auf der Suche nach den Vorfahren meiner Großmutter stieß ich auf dem kleinen Friedhof in Falken bei Treffurt/Thüringen sehr häufig auf ihren Mädchennamen Werneburg. Daher vermute ich, dass ihre Vorfahren nicht von weit entfernt zugewandert, sondern schon lange in Falken und Treffurt ansässig waren. Auf dem Friedhof St. Georgsberg in Ratzeburg ist die Vertreibung aus dem Osten allgegenwärtig: auf einer großen Zahl der Gräber ist ein Geburtsort in Pommern angegeben. Vielleicht findet sich also in der Nähe des gesuchten Grabs ein Puzzleteil, ein Ansatzpunkt für die weitere Forschung. Ich würde großzügig fotografieren – wer weiß, vielleicht lässt sich erst Jahre später ein Grab und ein Name in die eigene Familiengeschichte einordnen.
Was kann mir das Grab erzählen?
Zentrales Element der Grabstätte ist meist der Grabstein. Datenschutz spielt hier keine Rolle mehr: bei aktuelleren Sterbefällen findet man manchmal erst auf dem Grabstein das genaue Sterbedatum der gesuchten Person. Leider sind deutsche Gräber häufig nicht sehr mitteilsam. Aber Inschriften wie „Meine geliebte Mutter“ oder „Mein treusorgender Gatte“ können auf weitere Angehörige hinweisen. Familiengräber sind meistens etwas informativer was Eheschließungen oder Kinder angeht. Auf älteren Gräbern findet sich oft eine Berufsbezeichnung, die ein Anhaltspunkt für weitere Forschungen sein kann.
Neben dem Grabstein kann auch die Grabgestaltung einen wichtigen Eindruck vermitteln. Ist hier nur ein Grabpflegeunternehmen tätig oder wird das Grab persönlich gepflegt? Finden sich Gedenksteine, die auf weitere Familienmitglieder hinweisen?
Wer einen Friedhof nicht selber besuchen kann, der wird vielleicht bei Find a Grave oder beim Projekt Digitale Dokumentation von Grabsteinen fündig. Letzteres sucht auch ständig ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die bei der Erfassung von Grabstätten tätig werden.
Friedhöfe rund um die Welt
Und jetzt zum touristischen Teil. Der Zentralfriedhof in Wien oder der Père Lachaise in Paris sind sicherlich keine Geheimtipps, aber gute Beispiele dafür, dass Friedhöfe auch ein lohnendes Reiseziel sein können. Auf unseren Reisen rund um die Welt haben wir häufig auch Begräbnisstätten besucht und die zehn interessantesten möchte ich hier kurz vorstellen. Wer mehr darüber erfahren möchte: ich habe reichlich zu unserem Reiseblog verlinkt.
Malaysia: Old Protestant Cemetery in Georgetown/Penang
Im feuchtheißen Penang findet sich außerhalb der Altstadt der alte protestantische Friedhof, auf dem man auch auf Gräber von Deutschen stößt. Hier kann man sich in die Zeit der East India Company zurückversetzen und das anschließend bei einem traditionellen Afternoon Tea im nahegelegenen Kolonialhotel Eastern and Oriental vertiefen. Aber unbedingt noch Platz im Magen lassen, Georgetown ist ein Foodie-Paradies!
Mauritius: St Martin’s Jewish Cemetery bei Bambous
Die Geschichte der 127 jüdischen Gräber mit häufig deutschen Aufschriften im Tropenparadies Mauritius ist zu lang und zu bewegend für ein paar Zeilen. Ausführlich habe ich darüber in meinem Reiseblog berichtet. In „Exil in Mauritius“ erzähle ich von der Reise zu diesem einzigartigen Friedhof und dem Schicksal der dort Begrabenen.
Indien: South Park Street Cemetery in Kalkutta
Mitten im chaotischen Kalkutta, ganz in der Nähe des Mutterhauses der Missionarinnen der Nächstenliebe, in dem Mutter Teresa begraben ist, liegt der verwunschene South Park Street Cemetery. 1767 eröffnet war er nur wenige Jahre in Betrieb und galt damals als der größte christliche Friedhof außerhalb Europas und Amerikas. Eigentlich nur Europäer liegen hier begraben, viele in sehr jungen Jahren verstorben. Im damals sumpfigen und entsprechend Malaria-verseuchten Kalkutta gab man den Ausländern aus dem Norden maximal zwei Monsune. Ein Spaziergang hier ist ein Bummel durch die koloniale Vergangenheit Indiens.
Als wir Kalkutta 2014 besuchten, gab es unseren Reiseblog noch nicht. Wer sich mit den Globonauten ein bisschen nach Indien träumen möchte, findet hier den Reisebericht über Mumbai, Gujarat und Rajasthan.
Usbekistan: Nekropole Shohizinda in Samarkand
Usbekistan ist ein Märchenland und Samarkand seine Märchenkönigin. Neben den vielen Wundern der Stadt ist die Nekropole Shohizinda ein besonderer Höhepunkt im türkisblauen Traum. Ab dem 11. Jahrhundert wurden hier Mausoleen errichtet und adlige Herrscher beigesetzt. Die Timuriden aus der Herrscherdynastie Amir Timurs perfektionierten die Majolika-Kunst, die man hier in ihrer ganzen Pracht bewundern kann. Wer noch nicht müde ist von der Pracht des Registan in Samarkand, dem sei dieser wunderbare Ort unbedingt empfohlen! Hier geht es zu unserem Reisebericht.
Usbekistan: Muslim Cemetery in Samarkand
Samarkand darf zwei mal dabei sein. Hinter den Prachtgräbern der Timuriden tut sich ein moderner Friedhof auf, der mich ebenfalls fasziniert hat. Kunstvoll in die schwarzen Granitgrabsteine sind die Bilder der Verstorbenen gemeißelt. Wie schön wäre es, wenn ich einem meiner unbekannten Vorfahren auf dem Friedhof so ins Auge schauen könnte.
Israel: Jüdischer Friedhof am Ölberg in Jerusalem
Einer der berühmtesten Friedhöfe der Welt ist der jüdische Friedhof am Ölberg. Vor über 3000 Jahren wurde das erste Grab gelegt und bis zu 300.000 Grabsteine werden hier vermutet.
Indonesien: Felsengräber in Toraja-Land in Sulawesi
Sulawesi haben wir Ende 2012 bereist, vor dem Start unseres Reiseblogs. Die Felsengräber des Volkes der Toraja werden von den Tau Taus bewacht, geschnitzten Abbildern der Toten. Die Leichname werden zunächst einbalsamiert und so lange im Haus aufbewahrt, bis eine riesige Beerdigungsfeier finanziert und organisiert werden kann. Wir waren als Gäste bei einer solchen Beerdigung eingeladen. Eine blutige Angelegenheit mit vielen Büffelschlachtungen, aber auch ein großes Fest zu Ehren des schon lange Verstorbenen. Weitere Bilder unserer Reise gibt es hier.
Malta: St Paul’s Catacombs in Rabat
Die Katakomben von St Paul’s in Rabat konnte ich in diesem Sommer trotz Corona besuchen. Die Grabanlage wurde etwa 350 n.Chr. errichtet, die etwa 1400 Toten ruhen mittlerweile woanders. Gut temperiert, historisch spannend und stimmungsvoll beleuchtet ein ideales Reiseziel im heißen Sommer.
Polen: Alter Jüdischer Friedhof in Breslau
Dass Breslau einmal eine deutsche Stadt war, kann man nirgendwo so deutlich spüren wie auf dem Alten Jüdischen Friedhof in der Südstadt. Mehr als 10.000 Grabsteine mit deutschen Inschriften geben einen Einblick in die deutsche Geschichte der Stadt und die wesentliche Rolle, die die Menschen jüdischen Glaubens hierbei spielten.
Nepal: Pashupatinath bei Kathmandu
Nirgendwo fühlte sich der Hinduismus für uns so fremd und so verstörend an wie beim Ritual der Leichenverbrennungen. Im indischen Varanasi haben wir 2014 erstmals diese Form der Bestattung erlebt. Eine ganze Stadt als ein Ort des Todes und des Wartens auf das Sterben. In Nepal ist es die Tempelstätte Pashupatinath etwas außerhalb von Kathmandu, wo man die Verbrennungszeremonien vom Ufer des Bagmati-Flusses aus beobachten kann. Die Asche der Verstorbenen wird irgendwann in den heiligen Fluss gekehrt – ein Friedhof als physischer Ort der Erinnerung ist für die Hindus nicht notwendig. Denn die Seele wandert weiter oder wurde durch die Verbrennung an einem heiligen Ort endgültig ins paradiesische Nirwana aufgenommen. Hier geht es zum Reisebericht.
Diese kleine Auswahl zeigt, wie sehr der Besuch einer Begräbnisstätte mit der Kultur und Geschichte des jeweiligen Landes verbunden ist. Das gilt nicht nur für ferne Länder, sondern auch und ganz besonders für den Ort, in dem man lebt. Hier in Stuttgart genieße ich Spaziergänge und Entdeckungen auf dem Pragfriedhof, dem Wald- oder dem besonders schönen Hoppenlau-Friedhof. Jede Begräbnisstätte schmückt sich mit den Gräbern berühmter Menschen, mittlerweile gibt es Apps, mit denen man diese Orte finden und sich von der Geschichte der dort Begrabenen berichten lassen kann.
Ohne jeden Hinweis stößt man im kargen Dornhaldenfriedhof in der letzten Reihe auf einen unscheinbaren Grabstein. „Mit dem Tod muss alle Feindschaft enden“, entgegnete der damalige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel der großen Kritik und ließ Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Andreas Baader hier beerdigen.
Wo auch immer, wie auch immer: Friedhöfe sind ganz besondere Orte, Orte der Trauer, Orte der Einkehr, Orte der Stille. Sie sind voller Kultur, voller Geschichte und voller Geschichten, die das einstige Leben ausmachten. Und insoweit ganz besondere Orte für jeden Menschen, den die Familienforschung fasziniert.