„Studierendenakten im Universitätsarchiv Tübingen – Quellen für die Familienforschung“ lautete der Titel eines Vortrags von Dr. Regina Keyler und Dr. Susanne Rieß-Stumm auf der Genealogica 2024. Die hervorragende Veranstaltung hat mich inspiriert, etwas tiefer einzutauchen in die Frage, was sich für die Familienforschung alles finden lässt in den gar nicht so verstaubten Tiefen universitärer Flure. Hat man sich erst mal eingedacht in eine jahrhundertealte Welt, die sich bis heute ein ganz eigenes Vokabular erhalten hat, in der es wimmelt von Rektoren, Kanzlern, Dekanen, Magnifizenzen und Spektabilitäten, kann Erstaunliches zu Tage gefördert werden.
Universitätsarchive – etwas ganz Besonderes!
Nicht nur das Bundesarchiv, die Landes- und Stadtarchive sind für jedermann zugänglich, sondern auch die der Universitäten. Universitätsarchive sind zwar Einrichtungen der Universitäten, unterliegen aber dem allgemeinen Archivrecht und sind öffentliche Archive. Daher können nicht nur Universitätsangehörige, sondern alle, die ein berechtigtes Interesse nachweisen, den Archivbestand nutzen. Viele Universitätsarchiv haben ganz hervorragende Internetauftritte, die bereits viele Fragen beantworten. Exemplarisch seien hier das Universitätsarchiv Tübingen und das Universitätsarchiv Leipzig genannt.
Welche Unterlagen können sich in Universitätsarchiven finden?
In den Matrikellisten sind die Mitglieder der Universität – Studierende wie Personal – verzeichnet. Sie können eine Fülle von Informationen enthalten, mindestens aber den Namen und das Studienfach.
Studierendenakten enthalten neben persönlichen Informationen auch solche über den Studienverlauf. Ein besonderes zeithistorisches Beispiel findet sich in einer Studierendenakte der Universität Tübingen:
Auch Personalakten des wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Personals können sich im Universitätsarchiv finden.
Die Universitäten verfügten über ein ganz eigenes Disziplinarrecht, das seine Spuren in den Archiven hinterlassen hat. Aus der Liste der Karzerstrafen der Universität Leipzig ist beispielsweise zu erfahren, dass Walter Meibauer, Student der Rechtswissenschaften aus Schivelbein, 1878 insgesamt 10 Tage wegen wiederholter Ruhestörung im Karzer verbringen musste. An das Verbot der „Landsmannschaft Pomerania“ an der Universität Halle hielten sich nicht alle Pommern. So wurde zum Beispiel Carl Friedrich Wilhelm Hasselbach aus Treptow 1827 wegen Mitgliedschaft in der damals verbotenen studentischen Verbindung Pomerania der Universität Halle verwiesen.
Auch die Akten von Studentenverbindungen können wertvolle Informationen enthalten. Anders als heute gehörten zur Zeit des deutschen Kaiserreichs zumindest in den Universitätsstädten mehr als die Hälfte der vorwiegend männlichen Studierenden einer Korporation an. Studentische Verbindungen Studentenverbindungen verfügen entweder selber über einen Archivbestand oder haben ihre Dokumente an Universitätsarchive übergeben.
Abseits der Universitätsarchive können Dissertations- und Habilitationsschriften, die häufig über Fernleihe bestellbar sind, für die Familienforschung hilfreich sein. Im Anhang findet sich meist ein kurzer Lebenslauf, wie hier in der Dissertation von Dr. Siegbert Meyersohn.
Wo suchen?
Die Online-Recherche in den Beständen der Universitätsarchive ist nicht einheitlich geregelt und teilweise auch abhängig vom Bundesland. Bestände können auf Archivportalen und lokal recherchiert werden. In jedem Fall gibt die Internetseite des jeweiligen Universitätsarchivs Hinweise, wie und wo recherchiert werden kann. Zentral ist, eine Vorstellung zu haben, an welcher Universität die gesuchte Person studiert oder gearbeitet haben könnte.
Die größten Universitäten im 19. Jahrhundert befanden sich in Leipzig, Göttingen, Halle, Berlin (heute Humboldt-Universität) und München (heute Ludwig-Maximilians Universität). Viele Studienwillige zog es allerdings auch ins Ausland oder an die Universitäten im Osten, die heute nicht mehr auf deutschem Gebiet liegen. Bei der Recherche auf keinen Fall vergessen sollte man daher Universitäten wie Breslau, Königsberg, Dorpat in Tartu/Estland oder die königlich preußische Technische Hochschule Danzig. Die Bestände dieser Universitäten liegen leider verstreut. Die Portale Polona und Szukaj w Archiwach können hier hilfreich sein.
Und zuletzt noch der Hinweis auf ein Mitmachprojekt. Der Verein für Computergenealogie kooperiert mit dem Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München bei der Erfassung von Hochschulschriften, also Dissertationen und Habilitationen. Nähere Informationen finden sich hier.
Wer sich bisher noch nie an universitäres Material herangetraut hat, der geht es jetzt hoffentlich an. Getreu dem Motto meiner Alma Mater, der Universität Tübingen: „Attempto!“, ich wag’s!